Filmkritik: Pan

Eine der vielen Modeerscheinungen Hollywoods ist zweifelsohne der Origins-Gedanke. Man nehme eine altbekannte Geschichte und zeige die (oft - angeblich - wahren) Ursprünge eben dieser Erzählung. Und so zeigt Ron Howard Ende des Jahres die Ursprünge des Mythos Moby Dick in Im Herzen der See, in X-Men Origins: Wolverine sahen wir den Beginn eines Superhelden (genau wie in Batman Begins), die SF-Kultreihen Star Wars und Star Trek zeigten uns auch Jahre nach den originalen Filmen die Geschichte, mit der alles begann und nun ist es an Joe Wright, uns in Pan zu erzählen, wie aus Peter ein verlorener Junge in Nimmerland geworden ist.

Der Film beginnt in einem Londoner Waisenhaus während des zweiten Weltkriegs (was die Geschichte schon mal 40 Jahre in die "Zukunft" verschiebt, immerhin stammt J.M. Barries erste Peter Pan-Erzählung aus dem Jahr 1902). Unzählige Jungen leben hier, die Essensrationen werden täglich gedrosselt und Peter und sein bester Freund Nibs haben die Verdacht, dass die fiese Mutter Barnabas alle Leckereien für sich einbehält, während die Jungs hungern müssen. Schon hier zeigt sich Peters Mut und Abenteuerlust, als er sich trotz Fliegeralarms statt in den Bunker auf die Suche nach den Lebensmitteln macht. Doch in dieser Nacht erfährt er noch ein anderes Geheimnis: das merkwürdige, spurlose Verschwinden von Waisenkindern - angeblich alle adoptiert - klärt sich auf, als Peter mit ansieht, wie Piraten die Kinder aus ihren Betten entführen und auf ihr fliegendes Schiff mitnehmen. Und ehe sich Peter versieht, landet auch er auf dem Schiff - und kurz darauf in Nimmerland.

Bis hierhin folgt das Drehbuch einer spannenden Erzählung, ist witzig und charmant, eine wahre Lausbubengeschichte. Mit dem Erscheinen der verwunschenen Insel Nimmerland enthüllt Joe Wright dann eine wahre Orgie an visuellen Reizüberflutungen. Wenn man ehrlich ist, geht es in Pan, Origin-Story hin oder her, nicht darum, wie Peter zu Peter Pan wurde, sondern darum, dass dies auf möglichst visuell beeindruckende Art und Weise geschieht. Wenn man Wright eines nicht vorwerfen kann, dann dass der Film optisch langweilig wäre. Hier wird weder mit Farben, noch mit Fantasie und erst recht nicht mit übertriebenen 3D-Effekten gegeizt, und der erste Auftritt Hugh Jackmans als Captain Blackbeard zählt sicherlich zu einer der spektakulärsten Szenen des Kinojahres: Tausende Kinder - und Jackman selbst - singen hier Nirvanas Smells Like Teen Spirit in einer gewaltigen Minenkolonisation, in der die entführten Kinder nach Feenstaub graben, der den gefürchteten Piraten jung hält. Der fetzige Auftritt erinnert ohne jeden Zweifel an Moulin Rouge! und könnte auch von dessen Regisseur Baz Luhrmann inszeniert worden sein.

Doch ist dieser pompöse Auftritt erstmal vorbei, holt einen die Realität wieder ein - und das in einer Fantasiewelt wie Nimmerland. Peter flieht mit der Hilfe von James Hook, der als Macho und Sidekick hier zu Peters bestem Freund heranwächst und seine Angst vor Krokodilen kundtut. Tiger Lily ist die taffe Begleiterin, gleichzeitig auch Love-Interest Hooks. Glöckchen (Tinkerbell) kommt ebenso wenig vor wie Wendy (das Mädchen, das Peter aus London nach Nimmerland holt). Stattdessen geht es nun nur um eins: man will verhindern, dass Blackbeard ins geheime Feenreich eindringt und alle überlebenden Zauberwesen tötet. Das endet in einer übertriebenen Effektehascherei, bei der nichts außer den Darstellern noch real zu sein scheint.

Leider erzählt die Origin-Geschichte nicht, wieso Hook und Peter zu Erzfeinden wurden - und das, obwohl man hier doch die Vorgeschichte zu Peter Pan zeigen wollte. Genauso irritierend sind auch die unglaublich schwülstigen Dialoge, bei denen der Fremdschäm-Faktor schon gewaltig ausschlägt. Dennoch, das muss man Joe Wright zugute halten, ist Pan ein durchaus schöner, unterhaltsamer Film, der mit dem Charme seiner Darsteller und vor allem natürlich der beeindruckenden Optik überzeugen kann. Auch wenn einen die Geschichte nicht allzu sehr mitreißt, kann man sich an der visuellen Pracht erfreuen, die für zwei Stunden aus dem tristen Alltag in eine weit entfernte, schöne Traumwelt entführt, in der wir alle den Teen Spirit schnuppern und wieder Kind sein dürfen.

★★★☆☆


Originaltitel: Pan

Regie: Joe Wright
Drehbuch: Jason Fuchs
basierend auf den Charakteren von J.M. Barrie
Kamera: John Mathieson & Seamus McGarvey
Schnitt: William Hoy & Paul Tothill
Musik: John Powell

Darsteller:
Hugh Jackman ... Blackbeard
Levi Miller ... Peter Pan
Garrett Hedlund ... James Hook
Rooney Mara ... Tiger Lily
Adeel Akhtar ... Sam Smiegel
Nonso Anozie ... Bishop
Amanda Seyfried ... Mary
Kathy Burke ... Mutter Barnabas
Cara Delevingne ... Meerjungfrauen

USA/UK/AUS 2015, 111 Min.
Warner Bros.
Kinostart: 8. Oktober 2015
FSK 12

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