Filmkritik: The Visit


Es war einmal ein Regie-Wunderkind namens M. Night Shyamalan . Mit 29 kommt nach zwei unbedeutenden Komödien mit The Sixth Sense eine Filmsensation in die Kinos, die Filmwissenschaftler, Kritiker und Publikum erstaunen ließ und dem jungen Inder direkt zwei Oscar-Nominierungen für die beste Regie und das beste Drehbuch bescherte. Der Nachfolger, Unbreakable, konnte den enormen Erfolg zumindest finanziell noch beibehalten, Signs spaltete seine Fans langsam aber sicher und The Village - in meinen Augen sein mit Abstand bester Film mit einem Plot-Twist, dem nur Großkaliber wie Das Imperium schlägt zurück, Psycho und Shyamalans The Sixth Sense das Wasser reichen können - sollte der letzte große Erfolg für ihn bleiben. Elf Jahre sind seit dem vergangen - und groß ist die Freude, nun die Gewissheit zu haben, dass The Visit Shyamalans Rückkehr zu seinen anfänglichen Stärken ist.

Die beiden Protagonisten, denen wir folgen, sind ein junges Geschwisterpaar, das von den beiden Australiern Olivia DeJonge und Ed Oxenbould gespielt wird. Und mit den beiden hatte Shyamalan wirklich ein glückliches Händchen. Während DeJonge die Film begeisterte Teenagerin Becca spielt, die eine Dokumentation über ihre Großeltern drehen will, bei denen die beiden Kinder eine Woche lang zu Besuch sind, ist es der 14-jährige Oxenbould, der mit seinem Charme und Witz als Tyler das Unterhaltungsniveau konstant aufrecht erhält. Das Drehbuch sprüht regelrecht vor (schwarzem) Humor, der Hand in Hand mit dem ebenfalls omnipräsenten Grusel agiert. Selten hat man eine solch gut abgewogene Mischung aus Horror und rabenschwarzer Komödie gesehen - von Shyamalan schon gar nicht. Man merkt ihm regelrecht an, wie er beweisen wollte, dass er noch immer eines der größten Talente für mysteriöse Stoffe ist - ohne dabei aufdringlich zu sein.

Die Metaebene von The Visit ist dabei ebenfalls sehr ausgeprägt: Immer wieder werden von Becca filmtechnische Begriffe oder Vorgehensweisen (wie die Mise-en-scène oder die Verwendung von gänzlich unpassender Filmmusik) im Rahmen der Dreharbeiten ihres Dokumentarfilms erwähnt, nur um wenig später tatsächlich im Film eingesetzt zu werden. Der Film ist vor allem in der zweiten Hälfte für eine ganze Reihe richtiger Schockmomente gut, während bis dahin vor allem die kühle, angespannte Atmosphäre in und um das eingeschneite Haus auf dem Land dominiert. Dass der Film dennoch eine FSK 12 erhalten hat, passt zu den jüngsten Entscheidungen der Freiwilligen Selbstkontrolle in Wiesbaden, die auch den atmosphärisch bedrohlichen It Follows beispielsweise mit dieser Altersfreigabe versehen hat. Beide Fälle sind grenzwertig, wenn nicht gar unsinnig in Anbetracht der Tatsache, dass hier demnach sechsjährige Kinder mit ihren Eltern den Film ansehen dürfen.

War es jahrelang um M. Night Shyamalan ruhig, nachdem er die finanziellen (und auch qualitativen) Reinfälle Das Mädchen aus dem Wasser, The HappeningDie Legende von Aang und After Earth inszenierte, gelingt es ihm nun mit einem fast vollkommen unbekannten Cast und einer selbst geschriebenen Original-Story sowohl qualitativ, als auch finanziell (der Film eröffnete in den USA am Startwochenende weit über den Erwartungen) endlich wieder an seine frühen Erfolge anzuknüpfen. The Visit ist ein überaus unterhaltsames Stück Gruselkino, dessen Mischung aus Witz und Horror absolut zu überzeugen wissen - und dessen Plot-Twist, ganz in Shyamalan-Tradition, wieder einmal vollkommen unerwartet und wie aus dem Nichts auftaucht. Bitte mehr davon!

★★★★☆


Originaltitel: The Visit


Darsteller:
Olivia DeJonge ... Becca
Ed Oxenbould ... Tyler
Deanna Dunagan ... Nana
Peter McRobbie ... Pop Pop
Kathryn Hahn ... Mom

USA 2015, 94 Min.
Universal Pictures
Kinostart: 24. September 2015
FSK 12

Trailer:

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