Filmkritik: Verstehen Sie die Béliers?

Vive la France, möchte man mit Einsetzen des Abspanns laut ausrufen, während man noch dabei ist, sich die Freudentränen mit einem zerknüllten Taschentuch aus dem Gesicht zu wischen und versucht, die Gänsehaut, die sich am ganzen Körper breit gemacht hat, von sich zu schütteln. Kurz um: Verstehen Sie die Béliers? ist ein Film, der seine Zuschauer auf eine urkomische, herzergreifende und mutige Reise mitnimmt und dabei den Fokus vor allem auf seine junge, grandiose Hauptdarstellerin legt.

Doch immer eins nach dem anderen: Der Film von Eric Lartigau (Nachtblende) beginnt auf einem ruhigen, idyllischen Bauernhof irgendwo im ländlichen Frankreich, wo gerade ein kleines Kuhkalb geboren wird. Soweit, so normal. Doch schnell ist klar: Die Familie Bélier ist keine normale Familie. Vater Rodolphe, Mutter Gigi und Sohn Quentin sind allesamt taubstumm, können also weder sprechen noch hören. Doch die 16-jährige Tochter, Paula (Louane Emera), wurde ohne dieses Handicap geboren - und ist nun Sprach- und Hörorgan für die ganze Familie: Sie regelt finanzielle Angelegenheiten mit der Bank, bestellt Futter für den Bauernhof und übersetzt bei den Arztbesuchen für ihre Eltern. Sie ist also erwachsener als alle anderen in ihrem Alter. Das einzige Problem ist: Sie ist noch ein Teenager - und hat dennoch kein "eigenes" Leben. Das ändert sich, als sie in den Schulchor eintritt und ihr exzentrischer Lehrer Fabien in ihr ein verborgenes Talent entdeckt. Gemeinsam proben sie für Paulas Aufnahmeprüfung an einer renommierten Pariser Gesangsschule, ohne das Wissen der Béliers. Als die von dem Vorhaben ihrer Tochter erfahren, bricht für sie eine Welt zusammen: Paula alleine in Paris? Und sie, die Taubstummen, allein... mit der Welt?

Die Geschichte erinnert zweifelsohne ein wenig an Jenseits der Stille, und auch französische Filme wie Die Kinder des Monsieur Mathieu oder Ziemlich beste Freunde finden sich hier in kleinen Portionen wieder: Die Chansons, die Beeinträchtigung im Leben (nicht durch eine Behinderung, sondern eben die Gehörlosigkeit und die Unfähigkeit zu Sprechen), der Ausbruch aus der Kindheit hinein in die Erwachsenenwelt. Es sind Themen und Elemente, die schon andere Filme mit mehr oder weniger großem Erfolg verarbeitet haben. Doch das stört hier in keinster Weise. Man ist von Beginn an von den schrägen Figuren fasziniert, von den Béliers, aber auch vom arroganten, dämlichen Bürgermeister, vom lustlosen Musiklehrer oder dem schwerhörigen Rossigneux, der für Vater Rodolphe bei dessen Bürgermeisterkandidatur (!) übersetzt. 

Der Ankerpunkt des Films ist aber eindeutig Louane Emera. Die 18-jährige Französin spielt hier ihre erste Filmrolle, für die sie ein halbes Jahr lang die Gebärdensprache erlernt hat. Beides macht sie im Film mit einer Leichtigkeit, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Und als wäre das dann noch nicht genug, darf sie bei den wunderschönen französischen Chansons, die von den Darstellern interpretiert werden, beweisen, dass sie auch eine unfassbar schöne, gute Stimme hat. Wenn sie im Finale Michel Sardous Je vole anstimmt, bleibt kein Auge trocken, wird man mitgerissen von dieser Klarheit und Kraft ihrer Stimme. 

Verstehen Sie die Béliers? Peu importe, ganz egal. Denn hier werden Gefühle nicht in Worten ausgedrückt, sondern in Taten. Für die Eltern ist es die Einsicht am Ende, dass sie ihre Tochter (auch wenn sie es gerne würden) nicht immer an sich binden können und ohne sie in der Welt zurecht kommen müssen. Für Paula ist es der Gesang, der ihr Leben einhaucht, der ihre Welt bestimmt: C'est bizarre cette cage. Qui me bloque la poitrine. Je n'peux plus respirer. Ça m'empêche de chanter.

★★★★☆


Originaltitel: La Famille Bélier

Regie: Eric Lartigau
Drehbuch: Victoria Bedos & Thomas Bidegain & Stanislas Carré de Malberg & Eric Lartigau
Kamera: Romain Winding
Schnitt: Jennifer Augé
Musik: Evgueni Galperine & Sacha Galperine

Darsteller:
Louane Emera ... Paula Bélier
Karin Viard ... Gigi Bélier
François Damiens ... Rodolphe Bélier
Eric Elmosnino ... Fabien Thomasson
Roxane Duran .. Mathilde
Ilian Bergala ... Gabriel Chevignon
Luca Gelberg ... Quentin Bélier
Bruno Gomila ... Rossigneux

F/B 2014, 100 Min.
Concorde Filmverleih
Kinostart: 5. März 2015
FSK 6

Trailer:

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