Filmkritik: Wild Tales - Jeder dreht mal durch!

Episoden(hafte) Filme sind in den letzten Jahren wieder verstärkt populär geworden, die Omnibus-Filme hingegen, also Filme wie Wild Tales, in dem sechs nicht miteinander verknüpfte Kurzfilme aneinandergereiht werden und außer dem Grundthema - Gewalt und Rache - nichts miteinander zu tun haben, waren schon immer eher eine Randerscheinung des Kinos - vor allem des kommerziellen Films. Der Argentinier Damián Szifrón (Tiempo de valientes) hat diesen Versuch nun unternommen und nicht nur in seinem Heimatland für Begeisterung bei Publikum und Kritikern gesorgt.
Dabei ist Wild Tales, immerhin der argentinische Beitrag für den diesjährigen Oscar als bester nicht englischsprachiger Film, eine sehr zwiespältige Angelegenheit, die vor allem darin ihre Kehrseite findet, dass die einzelnen Episoden qualitativ sehr unterschiedlich daherkommen. Der Prolog, Pasternak, führt uns in ein Flugzeug, in dem ein Model und ein Musikkritiker ins Gespräch über ihren Exfreund kommen, den der Kritiker auch kennt. Doch es soll nicht bei diesem Zufall bleiben und so gipfelt das Geschehen in einer unvorhersehbaren Katastrophe. Dieser kurze Einstieg ist grandios erzählt und machte direkt Lust auf mehr Geschichten über Gewalt und Rache, denn: Jeder dreht mal durch, oder nicht?

Auch die beiden folgenden Episoden, Las Ratas (Die Ratten) und El más fuerte (Der Stärkste) sind ein herrliches Vergnügen: Ob die alte Köchin, die einen unfreundlichen Gast gegen den Willen ihrer Kellnerin unbedingt mit Rattengift umbringen will oder der Geschäftsmann Diego, der sich mit einem gewalttätigen Mann auf einer einsamen Überlandstraße anlegt und in bester Mad Max-Tradition einfach durchdreht... es sind diese herrlich wilden, irren, komplett überzeichneten Figuren, die die erste Filmhälfte bestimmen und so schwarzhumorig und unterhaltsam machen.

Doch dann kommt der Umbruch: Vielleicht, weil man nun schon drei solcher Geschichten gesehen hat, oder weil sie wahrscheinlich wirklich zu langatmig geraten sind... es folgen mit Bombita (Bömbchen) und La Propuesta (Der Vorschlag) die beiden eindeutig schwächsten Episoden des Films. In ersterer dreht ein Sprengmeister durch, da nicht nur sein Auto (mehrfach) abgeschleppt wird, sondern auch Job und Frau auf einmal (übertrieben schnell) weg sind, in letzterer - der wirkliche "Tiefpunkt" des Films - hat der Sohn eines reichen Ehepaars eine schwangere Frau überfahren und getötet (was irgendwie schon als Ausgangslage nicht mehr allzu lustig ist), heult nur rum und entkommt der Anzeige deswegen, weil man Rechts- und Staatsanwalt besticht, den mittellosen Gärtner der Familie (mit dessen Einverständnis!) als Schuldigen zu präsentieren. Das Ende der Episode spiegelt dann den Gesamteindruck wieder: der schwarze Humor ist nicht mehr vorhanden, zu lachen gab es in diesen 15 Minuten praktisch nichts.

Doch dann kommt das große Finale: Hasta que la muerte nos separe (Bis dass der Tod uns scheide) zeigt eine große, ausgelassene Hochzeit, die in dem Moment aus dem Gleichgewicht gerät, als die Braut herausfindet, dass der Bräutigam kurz vor der Hochzeit eine Affäre mit einer Arbeitskollegin hatte - die auch noch Gast auf ebenjener Hochzeit ist. Was dann folgt ist großes Kino: Übertrieben bis zur Maßlosigkeit, wild, wirr, verrückt - und mit einem Ende, bei dem man nur noch den Kopf schütteln kann.

Wäre Wild Tales auf dem Niveau geblieben, mit dem die ersten drei Episoden den Film eingeleitet haben, hätte Szifrón hier zweifelsohne ein kleines Meisterwerk des schwarzen Humors erschaffen können, doch leider bauen die Kurzfilme kontinuierlich ab, der Tiefpunkt ist dabei wirklich schwach und reißt somit leider den Gesamteindruck stark nach unten, vor allem, da die beiden schwächsten Episoden (immerhin über 30 Minuten lang) direkt hintereinander platziert sind. Das Finale des Films kann dann nochmal einiges gut machen, aber dennoch ist der Film als Gesamtwerk betrachtet dann doch nicht mehr als gutes, aber eben nicht meisterliches (oder gar Oscar-reifes) Kino aus Südamerika.

★★★☆☆


Originaltitel: Relatos salvajes

Regie: Damián Szifrón
Drehbuch: Damián Szifrón
Kamera: Javier Julia
Musik: Gustavo Santaolalla

Darsteller:
Diego Gentile ... Ariel
Erica Rivas ... Romina
Ricardo Darín ... Simon
Darío Grandinetti ... Salgado
María Marull ... Isabel
Leonardo Sbaraglia ... Diego
Oscar Martínez ... Mauricio
Julieta Zylberberg ... Moza

ARG/ES 2014, 122 Min.
Prokino Filmverleih
Kinostart: 08. Januar 2015
FSK 12



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