Filmkritik: Somersault

Nichts ist so, wie es sein sollte. Nachdem sie beim Küssen mit dem Freund ihrer Mutter erwischt wird, packt die quirlige Heidi (großartig: Abbie Cornish) ihre Sachen und fährt mit dem Bus in den verschneiten australischen Wintersportort Jindabyne, ein 2.000 Seelen Kaff 175 Kilometer südwestlich von Canberra. Dort mischt sie sich unter die Leute, betrinkt sich, geht auf Jobsuche und trifft auf Joe (ebenfalls sehr stark: Sam Worthington), der das absolute Gegenteil von Heidi ist. Somersault erzählt seine Geschichte mit einer beängstigenden Ruhe und Intensität, dass es einen von der ersten Einstellung bis zum Abspann packt und nicht mehr loslässt. Ein realistischer Trip, der unter die Haut geht und noch lange nach dem Filmende im Gedächtnis bleibt. Gründe dafür gibt es dutzende. Der wichtigste Grund ist eines der sicherlich besten Filmduos der letzten Jahre. Abbie Cornish (Candy, Bright Star) und Sam Worthington (Avatar, Kampf der Titanen) spielen beeindruckend gut, vor allem natürlich Cornish gibt als gebrochene Seele und allein gelassenes Mädchen in einer fremden Stadt eine Darbietung, die ihresgleichen sucht.

Zumindest in seinem Heimatland Australien avancierte der Film zu einem historischen Kritikererfolg - und zwar in nie dagewesenem Maße: Satte 13 (!) AFI Awards (der wichtigste australische Filmpreis) gab es für Cate Shortlands Meisterstück, inklusive denen für den besten Film, die beste Regie, das beste Drehbuch, die beste Hauptdarstellerin, den besten Hauptdarsteller, die beste Nebendarstellerin, den besten Nebendarsteller, die beste Filmmusik, die beste Kameraführung und den besten Schnitt. Insgesamt über 40 Filmpreise und über 50 Nominierungen gab es für Somersault. Und jeder einzelne davon hat seine Berechtigung.

Doch nicht nur schauspielerisch ist das Drama meisterlich. Der Soundtrack der australischen Band Decoder Ring ist eine Mischung aus minimalistischen Klängen und melchancholischen Melodien, perfekt für die kühlen Bilder von Kameramann Robert Humphreys, die fast gänzlich ohne großen technischen Aufwand (also Kranfahrten oder ähnliches) auskommen und meist mit Handkamera aufgenommen wurden. Auch dadurch entsteht der unglaubliche Realitätseindruck und man fühlt sich nicht wie ein fremder Beobachter sondern wie eine beteiligte Figur am Geschehen. Die Farben geben die Kühle der Gesellschaft, in der sich Heidi befindet wieder. Wann immer sie im Freien unterwegs ist, dominieren blaue und weiß-graue Töne das Bild, doch sobald sie mit Joe zusammen in ihrem Appartement ist, werden die Farben wärmer und freundlicher. Dann fühlt sie sich geborgen und sicher.

Ein wesentlicher Aspekt, der die Authentizität noch weiter unterstützt, ist der australische Akzent, den die Schauspieler haben. Alleine hierbei dürfte bei der deutschen Synchronisation schon einiges an eben jener Authentizität verloren gehen. Somersault verzichtet auf Kitsch, auf klischeebehaftete Stereotypen und ein schnulziges Ende. Stattdessen gibt es in Shortlands Film "echte" Figuren, Dialoge wie aus dem Leben und keine geleckten Sprüche und Weisheiten. Rein gar nichts wirkt gestellt oder einstudiert, viel mehr erweckt alles den Anschein, als sehe man eine Dokumentation - und dennoch ist keine Sekunde langweilig oder unnütz. Definitiv ist es aber kein massentauglicher Film, was nicht nur am Erzählstil, sondern auch an der realistischen, abgeklärten Inszenierung liegt, die vielleicht ein wenig - wenn auch nicht in vollem Maße - mit dem Dogma-Stil von Regisseuren wie Lars von Trier (als Beispiel sei hier der großartige Breaking the Waves genannt) beschrieben werden kann.

Es kommt immer mal wieder vor, dass man einen Film sieht und sich sofort in ihn verliebt. Somersault ist einer jener Filme. Ein Film, den man sich am liebsten dreimal täglich anschauen würde und der mit jedem einzelnen Bild eine eigene Geschichte zu erzählen scheint.

Erstmalig veröffentlicht am 12. März 2010.


★★★★★


Originaltitel: Somersault

AUS 2004 | Prokino | 106 Minuten | FSK 0 | D-Start: 19. Mai 2005
Regie: Cate Shortland | Drehbuch: Cate Shortland | Kamera: Robert Humphreys | Musik: Decoder Ring | Darsteller: Abbie Cornish | Sam Worthington | Lynette Curran | Erik Thomson | Olivia Pigeot

Trailer:

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